Coming out

Meine Familie mag meine offene Beziehung nicht…

In einem früherem Artikel hatte ich bereits besprochen wie man damit umgehen kann, wenn Fremde einen für die eigene Andersartigkeit angreifen. Ich hatte auch darüber geschrieben, wie man es seinen eigenen Kindern erklären kann. Was jedoch, wenn es eben keine Fremden sind, sondern die eigene Familie? Was wenn die eigenen Eltern oder Geschwister oder Großeltern meinen, die eigene Beziehungsform zu bewerten oder sogar zu verurteilen zu müssen?

Darum wie man mit diesem Problem umgehen kann, soll es in diesem Artikel gehen.

Wer ist mit „Familie“ gemeint?

Am Anfang ist es vielleicht nützlich, sich zu überlegen, wer mit Familie überhaupt gemeint ist. Ich persönlich benutze den Begriff anders als die meisten Menschen. Ich meine damit in der Regel nicht nur meine Blutsverwandten und Partner, sondern auch die Menschen die einen großen Einfluss auf mein Leben haben. Für wieder andere Menschen sind damit nicht nur direkten Blutsverwandte, sondern auch entferntere Cousins und Cousinen sowie diverse Großtanten und Nichten gemeint.

Letztlich sollten wir daher eigentlich nicht unbedingt von „Familie“ reden. Denn nach der erweiterten Definition kann ich mir meine Familie bis zu einem gewissem Grad aussuchen.

Die Familie, die ich in diesem Artikel meine, sind aber konkret die direkten Blutsverwandten und/oder Bezugspersonen, die man sich nicht aussuchen konnte und kann. Nicht damit gemeint ist jedoch der eigene Partner mit dem man Kinder hat. Oder der einem nahe genug steht, um dieselbe Wichtigkeit zu haben. Auch nicht gemeint sind damit die nicht-romantischen Beziehungen mit Menschen, mit denen man nicht blutsverwandt ist. Auch dann nicht, wenn man sich trotzdem aus diversen Gründen für sie verantwortlich fühlt und einen gemeinsamen Lebensweg gehen möchte.

In kurz: Mit „Familie“ sind in diesem Artikel all die Menschen gemeint, die eine enge Bindung zu einem haben. Also die nicht ausgesuchten Menschen von Bedeutung, kurz n-MVBs. Sie haben also eine Bedeutung, egal ob man das nun möchte oder nicht.

Denn genau in diesem Punkt liegt das Dilemma.

Bewertungen und Urteile

Das Problem fängt dann an, wenn man für seine Lebensart bewertet und verurteilt wird und sich dem nicht entziehen kann. Wenn irgend ein komischer Kerl auf der Straße oder sonst wo meint mir dumm kommen zu müssen, habe ich eine Fülle an potenziellen Reaktionsmöglichkeiten.

Wenn das gleiche aber von Leuten kommt, die ich eigentlich irgendwie liebe, von denen ich gewissermaßen immer noch emotional abhängig bin und deren Urteil mir etwas bedeutet, dann komme ich in eine ganz andere Situation.

Auf einmal sind Wörter, die bei jedem anderem nur ein Augenrollen oder müdes Lächeln auslösen würden sehr verletzend. Vielleicht machen sie mich sogar unsicher in meinem Lebensweg. Man merkt wie man Dinge nicht mehr einfach abtun kann oder auf seine Standartart darauf reagieren kann. Stattdessen hat man gleichzeitig eine Angst davor verurteilt zu werden, als auch eine Wut darauf, dass diese Verurteilung stattfindet und man sich davon nicht so einfach abgrenzen kann.

All diese Punkte führen dazu, dass der Umgang mit solchen Angriffen oder Abwertungen ein ganz anderer ist.

Der wesentliche Unterschied ist: Man kann sich nicht entziehen!

Gleichzeitig sind dadurch die Meinungen meiner Blutsverwandten nicht differenzierter, als die anderer Menschen. Und genau dort kannst du ansetzen.

Nähe schützt nicht vor Ignoranz

Das Fehlurteil liegt genau an diesem Punkt. Weil diese Menschen in der Vergangenheit und auch aktuell eine große Rolle für mich gespielt haben, gebe ich ihrem Urteil Gewicht. Ich lasse ihre Bewertung und Ideen an mich heran. Denn bisher haben es diese Menschen auch gut mit mir gemeint, daher weiß ich dass sie es auch jetzt vermutlich tun.

Aber haben sie deswegen mehr Ahnung von diesem Thema? Eben nicht.

Deine Blutsverwandten oder nicht ausgesuchten Menschen von Bedeutung (n-MVBs) wissen nur, weil sie für dich wichtig sind nicht mehr von offenen Beziehungen als irgend jemand anderes. Und deshalb ist es wahrscheinlich, dass sie die gleichen Vorurteile und Denkfehler haben, die alle anderen haben.

Das bedeutet, auch wenn du mit ihnen nicht einfach den Kontakt abbrechen kannst und möchtest, weil sie ignorant sind, bedeutet das nicht, dass sie weniger ignorant sind. Sie sind nur ignorant und meinen es sicher gut mit dir.

Und unter diesem Gesichtspunkt solltest du dein Verhalten wählen.

Den eigenen Weg gehen

Dein eigener Weg ist vielleicht nicht für jeden der richtige. Es muss ihn nicht mal jeder verstehen. Aber für dich ist es dein Weg und er nutzt dir persönlich. Es kann sein, dass dieser Weg sich sehr von dem unterscheidet, was andere Menschen für richtig halten. Das macht ihn aber nicht falsch, es macht ihn nur noch mehr zu deinem persönlichem Weg.

Und leider kann es eben gut sein, dass dieser Weg von deinen n-MVBs nicht anerkannt wird, angezweifelt wird oder sogar offen angegriffen.

Da du hier nicht die Möglichkeit hast allzu gemein zu sein, den Kontakt abzubrechen oder patzig zu werden, gehen dir eine ganze Menge Werkzeuge flöten.

Aber es ist wichtig zu verstehen, dass hier eine unzulässige „Gewohnheitstat“ begangen wird. Deine n-MVBs sind es gewohnt besser als du zu wissen, was für dich richtig ist. Sie haben dich vor Schaden bewahrt als du klein warst, oder dir sogar die Windeln gewechselt. Und sie wissen dass du manchmal Mist baust. Deshalb denken sie auch jetzt besser zu wissen, was richtig für dich ist als du. Das kann man ihnen kaum zum Vorwurf machen, denn schließlich meinen sie es ja aufrichtig gut mit dir.

Was sie aber eben nicht wissen, ist dass sie genauso viel Mist bauen können wie du. Und du mittlerweile aus dem Alter raus bist, in dem man deine Entscheidungen für dich treffen müsste. Und du vielleicht in manchen Themen auch ganz einfach mehr Expertise und Ahnung hast als sie.

All das sind Punkte, die deine n-MVBs nicht wissen. Und vermutlich auch gar nicht wissen wollen.

Und daher solltest du aufhören über dieses Thema zu diskutieren. Denn in der größten Schwäche die du hast – dem Wissen, dass sie es gut mit dir meinen – liegt auch deine größte Stärke!

Sie meinen es wirklich gut mit dir!

Völlig unabhängig wie groß die Differenz eurer Werter und Wege ist: Es ist sehr wahrscheinlich, dass deine n-MVBs es wirklich gut mit dir meinen! Sie denken wirklich du würdest gerade in dein Verderben laufen. Sie denken wirklich, du würdest dich gerade selbst unglücklich machen und einen furchtbaren Fehler machen. Und sie verstehen wirklich nicht, dass sie gerade eigentlich ihre eigenen Ängste auf dich projizieren.

Daher hör auf. Hör auf zu überzeugen und zu argumentieren, zu streiten und zu weinen. Hör auf zu kämpfen und zu knurren. Sage stattdessen lieber das, was wirklich wichtig ist.

Sage: „Ich finde es so schön wie ihr euch um mich sorgt.“ und „Ich bin so froh, dass ich Menschen wie euch habe.“

Und sage auch: „Ich verstehe dass das für euch schwer nachvollziehbar ist und möchte euch von nichts überzeugen.“

Wiederhole diese Dinge immer und immer wieder, wenn dieses Thema mal wieder hoch geholt wird.

Vertraue darauf, dass diese Menschen primär dein Wohlbefinden und dein Glück im Kopf haben. Das es hier ausnahmsweise wirklich nur sekundär um die eigenen Ängste und Ideologie geht. Und dass deine n-MVBs daher irgendwann sehen werden, dass du mit deinem Weg wirklich glücklich bist.

Dafür brauchst du leider eine ganze Menge Geduld. Denn während man bei anderen Personen etwas abkürzen kann, ist man dazu bei den eigenen n-MVBs oft aus diversen Gründen nicht in der Lage.

Deshalb musst du Taten sprechen lassen. Bringe abwechseln deine Partner mit zu Familienessen. Lass dir von niemandem sagen, wie du zu fühlen hast, oder was richtig für dich ist. Vertraue darauf, dass deine Leute früher oder später anhand deiner Taten und deines Verhaltens merken, dass dein Weg gut für dich ist.

Aber was wenn die böse Stiefschwester kommt?

Nun gibt es leider aber noch einige andere n-MVBs, die ebenfalls lästig sind, es aber nicht gut mit einem meinen. Sei es die Frau des Bruders, die Cousine der Mutter oder sonstige entfernte Verwandte. Sie lästern und stören und wollen nicht, dass ihre Kinder mit deinen spielen, weil ihr ein „schlechter Einfluss“ seid.

Auch diese Leute hat man im n-MVB Kreis und manchmal können sie einem das Leben sehr schwer machen.

Hier verrate ich dir ein unangenehmes aber vielleicht erleichterndes Geheimnis. Diese Menschen gibt es überall. Und sie finden immer irgendwas. Wenn es nicht dein Beziehungsstil wäre, wäre es der schwule Onkel Erwin. Und wenn es nicht Erwin wäre, wäre es die kleine Schwester die einen „Neger als Freund hat.“ Und wenn es nicht die wäre, dann wäre es verdammt nochmal irgendjemand mit unehelichen Kindern oder nicht getrimmten Hecken.

Es ist völlig egal wie sehr du dich verbiegst, solange noch ein Funken Lebensfreude und Unangepasstheit in dir ist, werden sie etwas finden worüber sie sich das Maul zerreißen. Das wichtige hier ist: Lass nicht zu dass die Lästerrei zu Aktionen führt. Lass dich nicht von Familienfeiern ausschließen weil irgend ein Arschloch n-MVB meint Moralapostel spielen zu müssen. Sorge dafür, dass du und deine Partner unverkennbar gute Dinge tun. Das kann sein gutes Essen mitzubringen, bei verschiedenen Organisatorischen Aufgaben mitzuhelfen oder dich um die kranken und schwachen deines n-MVB Kreises zu kümmern.

Erwarte keinen Dank dafür, aber wenn schwachsinnige Forderungen wie Ausschluss aus der Familienfeier kommen, sorge unmissverständlich und klar dafür, dass vor allen Menschen klar wird, was du in letzter Zeit für den Kreis getan hast und frage offen und deutlich, ob das auch für die Angreifende Person gilt.

Denn nichts fürchten diese Menschen mehr als ihr Gesicht zu verlieren. Sie werden niemals aufhören zu lästern und anzustacheln. Aber wenn sie sich direkt in deine Angelegenheiten einmischen, muss man ihnen manchmal zeigen wo die Grenzen sind.

Meistens verstehen sie das auf einer instinktiven Ebene ziemlich gut und schnell.

Lächeln nicht vergessen

All diese Dinge lassen einem die Welt manchmal unfair und grau erscheinen. Man fragt sich, warum man ausgerechnet mit seinem eigenem Lebensweg all diese Anfeindungen ertragen muss. Und warum einen die eigenen n-MVBs nicht einfach lieb haben können, ohne einen zu kritisieren.

Deshalb: Vergiss nicht zu lächeln. Du bist kein Opfer deiner Umstände. Du bist auch kein Täter.

Vielmehr bist du ein aktiver Gestalter deines Lebens. Du hast nicht alles unter Kontrolle und wirst es auch nicht haben. Aber du kannst ein bisschen bestimmen in welche Richtung es geht.

Manchmal wirst du dabei in die Täter-Rolle und manchmal in die Opfer-Rolle fallen.

Aber vergiss das Lächeln nicht! Ohne Humor macht das alles nur noch halb so viel Spaß! :)

Viele Grüße,

Leo

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