Beziehungsformen

Welche Form von offene Beziehung ist die richtige für mich?

Wenn man einen Namen, ein Label für die eigene (offene) Beziehungsform hat, kann das vieles erleichtern. Aber vielleicht bist du noch in der Phase, in der du gar nicht so genau weißt, wie du irgendwann mal leben willst? In diesem Artikel möchte ich dir erklären, wie du die Form finden kannst die am besten auf deine Bedürfnisse zugeschnitten ist. Und warum dir das überhaupt helfen könnte.

Wofür soll ich mir überhaupt die Mühe machen?

Vielleicht hast du den Gedanken welchen Sinn es überhaupt macht dir zu überlegen, welches Label du für dich wählen sollst. Eigentlich braucht man ja gar kein Label. Man kann einfach so leben. wie man eben lebt, ohne irgendwas definieren zu müssen. Wem bin ich denn schon Rechenschaft schuldig?

Herauszufinden welche Beziehungsform aktuell am besten zu einem passt, hat aber einige Vorteile.

  • Du hast so eine Möglichkeit genauer zu verstehen was du eigentlich willst.
  • Wenn du eine ungefähre Ahnung hast, was du willst, kannst du dich besser gegen eine „komplette Verwässerung“ deiner Wünsche schützen.
  • Ein Label gibt vielen Menschen Kraft und ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Ohne Label hätten sich große Teile der Polyamoren Gemeinschaft nicht bilden können.
  • In diesem Sinne: Finden von Gleichgesinnten.
  • Viele nervige Diskussionen lassen sich erstaunlich gut beenden, in dem man einfach ein Fachwort hin knallt, das der andere erst mal nachlesen oder verstehen muss.
  • Ein Label ist zwar selten eindeutig, aber es grenzt doch wenigstens einige Dinge relativ zuverlässig ab.
  • Dadurch ist eine schnellere Kommunikation möglich.

Zu einigen Punkten werde ich später noch mehr schreiben. Und zwar zu den Punkten „Verwässerung“, „Gleichgesinnte“ und „schnellere Kommunikation“.

Trotz dieser Vorteile gibt es allerdings auch einige Fallstricke auf der Suche nach der eigenen Wunsch-Beziehungsform.

Geistige Flexibilität bei der Labelwahl erforderlich

Wenn man sich überlegt, welche Beziehungsform zu einem am besten passt, sollte man einige Dinge beachten.

Als aller erstes sollte man bedenken, dass die eigenen Vorstellungen nicht unbedingt immer sonderlich viel mit der Realität zu tun haben. Ich kann mich selbst für rasend eifersüchtig oder völlig eifersuchtsfrei halten und das genaue Gegenteil erleben, wenn tatsächlich mal etwas passiert. Und während das noch einer der leichter zu verstehenden Beispiele ist, gilt das auch für viele andere Dinge.

Daher sollte ich mir klar machen, dass was auch immer ich mir im voraus überlegt habe erst mal eine Arbeitshypothese sein sollte und nichts weiter. Wenn sich die realen Umstände ändern, sollte ich bereit sein meine Sichtweisen zu überdenken. Das klingt vielleicht wie eine Selbstverständlichkeit, ist es aber leider nicht. Viele Menschen neigen dazu in irgend einer Form „zu ihrem Wort stehen zu wollen“. Wenn sie mehreren Menschen erzählt haben in welche Schublade sie sich eingeordnet haben, fällt es ihnen schwer diese einfach zu wechseln.

Selbst dann, wenn sie ihre Bedürfnisse nicht mehr erfüllt oder sogar komplett ihre Sichtweise nicht mehr beinhaltet. In diesem Sinne entstehen dann oft haarsträubende Ausweitungen von Schubladen die beim besten Willen eigentlich nicht mehr den Rahmen der ursprünglichen Definition erfüllen. Am einfachsten zu sehen ist das an monogamen Menschen. Diese haben wohl die meisten Ausnahmen und Sonderregeln erfunden, was angeblich alles noch als monogam gilt. Nur um dieses Label nicht zu verlieren.

Vermeide diesen Fehler einfach, in dem du dich nicht zu sehr in dein Label verbeist. Wichtig ist was du selbst bist, das Label an sich ist nur ein Werkzeug.

Ein Label ist ein Label ist ein Label

Des weiteren sollte man beachten, dass das was man will nicht unbedingt eine spezielle Sache sein muss. Es kann sein, dass man sich ganz klar fest legen möchte. Viel wahrscheinlicher ist aber, dass es ein Spektrum an Möglichkeiten gibt, die man sich mit verschiedenen Menschen vorstellen kann. Und das diese Möglichkeiten sich gegenseitig sogar widersprechen können. Das heißt, ich muss mir gar nicht unbedingt überlegen, welches die perfekte Form für mich ist. Stattdessen kann ich mir überlegen, was ich aktuell im Rahmen meiner Möglichkeiten sehe und welche Bedingungen dafür erfüllt sein müssten.

Außerdem sollte ich noch bedenken, dass zu einer Beziehung immer mindestens noch ein weiterer Mensch dazu gehört. In unserem Fall wahrscheinlich sogar mehrere. Und dass ich dementsprechend nicht damit rechnen sollte, dass all meine Wünsche sofort umgesetzt werden. Vielmehr kann ich davon ausgehen, dass es Kompromisse und Klarstellungen mit meinen Partnern geben wird. Ich kann davon ausgehen, dass mir manche Punkte wichtiger sind und andere weniger wichtig. Und sich dies auf meine Kompromissbereitschaft auswirkt.

Zu letztes sollte ich auch noch verstehen, dass nur weil ich für mich ein Label gefunden habe, dieses Label nicht universal verstanden wird. Je nach dem welche Erfahrungen jemand gemacht hat, wird er unter dem gleichen Wort ganz andere Dinge verstehen als ich. Das bedeutet, ich sollte nicht leichtfertig davon ausgehen, das ein Wort sofort klar ist.Das heißt nicht, dass man nicht von einem gewissem Grundverständis ausgehen kann. Nur dass du es im Zweifelsfall eben überprüfen solltest, ob dein Gegenüber dich wirklich verstanden hat.

Das ist einer der Gründe, warum ich hier immer allgemein von „offenen Beziehungen“ schreibe. Und das obwohl ich mich selbst und meine eigenen Beziehungen am ehesten unter „Polyamorie“ einordne. Aber ich weiß mittlerweile eben, dass es davon unterschiedliche Definitionen gibt. Und einige überhaupt nicht mit dem zusammen passen, was ich darunter verstehe. Daher wähle ich persönlich lieber einen sehr allgemeinen Begriff und erkläre dafür etwas länger. Ich habe aber auch sehr wenig Problem damit ausführlich zu erklären was ich unter „offene Beziehung“ für mich verstehe. Daher gelten für dich vielleicht andere Regeln.

Leitfragen zu Grundwerten

Um heraus zu finden, was am ehesten zu dir passt, ist es nützlich, wenn du dir einige Grundwerte von dir überlegst. Es ist dabei wichtig, dass du ehrlich zu dir selbst bist. Es gibt hier kein richtig oder falsch, sondern nur das, was für dich richtig ist.

Die ersten Frage die du dir stellen könntest ist: Wie viel Freiheit(sgefühl) möchte ich und wie viel Sicherheit bin ich bereit dafür abzugeben? Wie viel Sicherheit(sgefühl) möchte ich und wie viel Freiheit bin ich bereit dafür abzugeben?

Diese beiden Fragen bringen dich deinem Ziel schon deutlich näher. Sie machen dir einerseits klar, was deine Bedürfnisse sind. Andererseits verdeutlichen sie aber auch, wie viel du bereit bist dafür zu geben. Instinktiv möchte man natürlich maximale Sicherheit und Freiheit auf einmal. Wenn man sich aber die ergänzende Frage stellt, wird einem oft schneller klar, wohin man eher tendiert. Mir persönlich ist meine Freiheit zum Beispiel ziemlich wichtig. Dementsprechend bin ich auch bereit relativ viel Sicherheitsgefühl dafür zu opfern. Gleichzeitig ist mir natürlich auch mein subjektives Sicherheitsgefühl wichtig. Hier bin ich aber deutlich weniger bereit dem meine Freiheit zu opfern. Meine Wahl fällt also eher Richtung Freiheit aus.

Die zweite Frage die du dir stellen kannst ist: Wie wichtig ist mir persönliches Wachstum? Wie viel Drama ist mir mein persönliches Wachstum wert?

Auch diese beiden Fragen bieten eine gute Orientierung. Denn das eine ist meistens ziemlich mit dem anderem verbunden und gleichzeitig für viele ein entscheidendes Kriterium. Mir selbst ist zum Beispiel persönliches Wachstum enorm wichtig. Daher bin ich bereit größte Mengen Drama über ausgedehnte Zeiträume zu akzeptieren. Das ist aber absolut nicht bei jedem Menschen der Fall. Und ich sollte dich vielleicht warnen, gerade wenn du noch nicht viel Erfahrungen mit offenen Beziehungen hast. Bei dem Maximum an Drama was du dir vorstellen kannst, solltest du am besten nochmal ungefähr doppelt so viel oben drauf setzen. Man unterschätzt das teilweise enorm, wie viel Arbeit das ist. Dafür bieten Beziehungen mit Fokus auf persönlichem Wachstum eben auch enorme Entwicklungsmöglichkeiten. Denn schließlich gibt es trotz dieser hohen Belastung Menschen, die diesen weg jederzeit wieder gehen würden.

Die letzte Frage die ich persönlich wichtig finde ist: Wie viel emotionale Offenheit möchte ich meinen Partnern zugestehen? Wie viel Kontrolle brauche ich?

Diese Frage ist leider insofern etwas irreführend, als dass sie noch mehr als die anderen immer nur eine aktuelle Bestandaufnahme sein kann. Sie ist aber ganz gut um fest zu stellen, auf welchem Level ich vermutlich am ehesten bequem einsteigen kann. Dafür eigenet sie sich ganz wunderbar, denn aus ihr allein leitet sich oft das Label ab, das mir für den Moment am besten passt. Die anderen Fragen sind zwar im gesamten wichtiger, für die Außendarstellung aber meist Feinheiten die nicht wirklich wahrgenommen werden.

Wahl des eigenen Labels

Wie das so oft ist bei solchen Dingen ist die eigentliche Arbeit eigentlich gar nicht mehr so wild, wenn man die Vorarbeit strukturiert und gut erledigt hat.

Wenn du dir also die oben genannten Fragen beantwortet hast, und ein wenig refelektiert was du überhaupt möchtest, kannst du einfach loslegen. Such dir einfach etwas aus, dass am ehesten deinen aktuellen Wünschen entspricht. Du brauchst daraus keine Wissenschaft machen. Das was dir am sinnvollsten erscheint, kannst du erst mal als Arbeitshypothese wählen. Du kannst dich bei den Möglichkeiten zum Beispiel an meinem anderem Artikel hier orientieren.

Wenn dir gar nichts passt, erfinde einfach deine eigene Definition und dein eigenes Wort dazu. (Falls du das tust, würde ich mich freuen wenn du es mir inklusive Definition in die Kommentare schreibst!) Vielleicht gibt es sie schon unter einem anderem Wort, aber vielleicht hast du ja auch etwas ganz neues entdeckt?

Wenn du das getan hast, oder noch zögerst es zu tun, möchte ich dir noch kurz genauer erläutern wofür dein Label dir persönlich überhaupt genau nutzt. Vielleicht bewegt dich das sogar dazu, noch mal eine klein wenig andere Wahl zu treffen, als du es sonst getan hättestes.

Vorteil: Schutz vor Verwässerung der eigenen Wünsche

Wenn du einmal in einem Wort oder eine Phrase zusammengefasst hast was du willst, ist es einfacher zu erkennen, wenn du vom Weg abgekommen bist. Versteh mich nicht falsch, es ist nicht schlimm vom Weg abzukommen. Und es wird sogar sehr wahrscheinlich passieren. Teilweise liegt darin sogar der ganze Spaß und einer der enormen Vorteile die offene Beziehunge gegenüber der Standard-Mongamie bieten. Denn positiv formuliert ist das ja nichts anderes als Flexibilität.

Das Problem ist nur, wenn dir das passiert und du es überhaupt nicht merkst. Und das verhinderst du damit. Wenn du dich zum Beispiel als jemand mit einer hierarchischen offenen Beziehung/Polyamorie definiert hast und dann irgendwann feststellst, dass du eigentlich nur Sex mit anderen, hast ohne überhaupt irgend eine Bindung, kannst du schauen woran das liegt. Auch wenn du dich als Swinger definiert hast und auf einmal fest stellst, dass du ohne Gefühle gar keine Lust auf Sex hast, kannst du nochmal überdenken was du eigentlich willst.

Worauf ich hinaus will ist: Du kannst statt die Labels als Schubladen zu benutzen, die dich einzwängen, sie stattdessen auch als Werkzeug benutzen. Als bestimmte Wörter die bestimmte Dinge definieren und anhand derer du überprüfen kannst, ob das was du von dir selbst zu wissen glaubst überhaupt noch aktuell ist. Das kann sehr wertvoll sein, insbesondere wenn man viel Alltagsstress und wenig Zeit für Reflexion hat.

Vorteil: Finden von Gleichgesinnten

Wenn du für dich ein Label gefunden hast, ist es für dich unter Umständen leichter Gleichgesinnte zu finden. Fast alle Beziehungformen gab es in der ein oder anderen Form schon Jahrzehnte vorher. Aber erst dadurch, dass man ein Wort dafür gefunden hat, war man auf einmal nicht mehr allein. Und man konnte auf einmal Menschen finden die ähnlich wie man selbst waren. Gleichzeitig wusste man auch, dass man nicht irgendwie ein komischer Alien ist, dessen Gefühle sonst niemand nachvollziehen kann.

Aber selbst wenn du nicht zu den Gründervätern einer neuen Richtung gehörst, hilft dir ein Wort überall schneller Gleichgesinnte zu finden.

Vielleicht denkst du im ersten Moment das hilft dir vermutlich nur für Suchanfragen im Internet? Aber das stimmt nicht. Auch im „echten Leben™“ hilft dir ein Wort schneller Menschen zu identifizieren, die etwas mit dir gemeinsam haben. Du kannst dann mit diesen leichter in Kontakt treten und schneller herausfinden, ob die Person zu dir passt als es sonst vielleicht der Fall gewesen wäre.

Vorteil: Schnelle Kommunikationsform

Zuletzt hat ein Label für dich auch einen Vorteil für alle anderen. Wenn andere ein Wort haben für „das was du bist“, dann können sie sich darunter eine Kategorie erstellen. Und das macht es leichter deine persönlichen Wünsche und deine Agenda an die Ausenwelt zu tragen. Vor ein Paar Jahren kannte ich zum Beispiel weder das Wort „Solo-Polyamory“ noch „Demisexualität„. Seit dem ich sie kenne, kann ich einige der Menschen, die sich selbt so bezeichnen besser verstehen. Das geht sogar so weit, dass es mir in einem Fall auf einmal wie Schuppen von den Augen fiel und fast alle der vorher für mich unverständlichen Handlungen Sinn ergaben.

Und nicht nur das, zu meiner eigenen Schande muss ich gestehen, dass ich ohne diese Label nicht wirklich in der Lage war mir eine Vorstellung davon zu machen, wie so jemand tatsächlich tickt. Aus Gründen die ich mir selbst nicht wirklich erklären kann, war ich nicht in der Lage mir unter den beschriebenen Dingen etwas vorzustellen, so lange ich kein Wort dafür hatte.

Selbst wenn du also die Verwendung von Labels an sich irgendwie doof findest (Schau mal unter Beziehungsanarchie nach ;) ) tust du einfach deinem Umfeld einen Gefallen damit. Es kann so tolleranter und vor allem verständisvoller auf dich reagieren. Und das selbst dann, wenn es das ohnehin vor hat, einfach weil es schwierig ist etwas das keinen Namen hat zu verstehen.

Schlusswort

Ich hoffe ich konnte dir mit diesem Artikel etwas weiter helfen. Wie immer würde ich mich sehr freuen, wenn du mir deine Anmerkungen, Kritik oder sonstiges einfach unten in die Kommentare schreibst!

Viele Grüße,

Leo

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1 Kommentar

  • Antworten
    Sophia
    28. Januar 2020 at 10:54

    Hi Leo!
    Ich hab jetzt schon den zweiten deiner Artikel gelesen, da ich das Thema spannend finde und deine Texte toll dafuer nutzen kann, meine Beziehung gemeinsam mit meinem Freund in die fuer uns richtigen Bahnen zu leiten und einfach ein groesseres Verstaendnis fuer die Thematik zu bekommen. Ich habe einen kleinen Kritikpunkt: An einigen Stellen in den Texten stolpere ich ueber auffaellig viele Rechtschreibfehler, falsche Kommasetzung oder einfach Fluechtigkeitsfehler. Ich kann darueber hinweg sehen, sie schwaechen jedoch das Gefuehl von Kompetenz und Vertrauenswuerdigkeit der Texte ganz automatisch ein wenig ab. Vielleicht laesst du nochmal jemanden drueber schauen, denn deine Themen und dein Erfahrungsschatz sind grossartig und sollten in die Welt hinaus getragen werden!
    Alles Gute!

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